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Akte 1: Die Frau des Volksfeindes

Osip:

Die Valentina Nikiforovna Kulagina wohnte im ersten Stock eines kleinen Holzhauses hinter dem >> Dynamo << - Stadion, ganz im Schatten der grossen massiven Steinbauten der >> Künstlerkolonie << an der Maslovskaja.

Ein seltsames >> Getto <<: Wer hier wohnte, war Maler; Kunst - oder was man damals für Kunst hielt - und Alltag liessen sich nicht voneinander trennen.

Ab und zu konnte man in der Kolonie die hochaufgeschossene, hagere Gestalt Tatlins sehen.

Sein junger Freund und Nachbar, A. Zelenskij, sammelte nach der beerdigung Tatlins die vom Hauswirt als unnützen Besitz weggeworfene ‘Flügelstrebe für Letatlin’ im Hinterhof auf.

Den Ton gaben in der Kolonie die ehemaligen Arbeiter und Bauern- >> Jungs << an, die sich während der zwanziger Jahre erfolglos bemüht hatten, den Geist der künstlerischen Avantgarde zu begreifen, um in den dreissiger Jahren - aufrichtig - die Führer und alles, was damals verlangt wurde, zu malen.

Man nannte sie ironisch >> die Ölmaler <<, in Anspielung auf den Gleichklang der Wörter >> Maslovskaja << - die Strasse, in der sie wohnten - und >> maslo << = Ölfarbe.

Den Künstlerklub ersetzte ihnen die nahe Bierkneipe, die in der Gegend berüchtigt war für ihre lauten Zechgelage; dort hingen dann auch die Landschaften und Stilleben der Stammkunden an der Wand.

Mit einem Wort, ein Maler-Paris der belle époque, mehr nicht.

Familie Klucis, die 1935 in die Maslovskaja gezogen war, lebte abseits von dieser fröhlichen Horde.

Übrigens war man in der Horde wohl trinkfreudig, verhielt sich jedoch vom Standpunkt der Obrigkeit aus vorbildlich; als Gustav Klucis verhaftet wurde, verboten die Nachbarn ihren Kindern, mit dem Sohn dieses << Volksfeindes << zu spielen.

Nur David Stenberg, der ehemalige Kommissar für bildende Kunst während des Bürgerkriegs, der sich schon längst von allen öffentlichen Aufgaben zurückgezogen hatte, und sonst noch einige wenige grüssten die Frau des >> Volksfeindes << Valentina Nikiforovna Kulagina.

Dann gelang es Valentina, beim Künstlerfonds, dieser seltsamen Organisation, Parodie auf jede Galerie und den Kunstmarkt, eine Arbeit zu bekommen.

Für äusserst schlechte Bezahlung musste sie pro Jahr einige Stilleben ( >> Blumen <<) an den Fonds abliefern.

Gut bezahlt waren nur Führer-Porträts, aber das vertraute man ihr nicht an.

Ihre arbeiten gelangten nie auf die Ausstellungen, und so vergass man allmählich, dass es diese Malerin gegeben hatte, Valentina Nikiforovna Kulagina.


 

Tatlin met vleugel 'Letatlin' (foto: Szeleny, Karoly 1935)